Ulrike Kolb: Unverhofftes Gleichgewicht
2011, Dez 15thUlrike Kolb, o.T. (Landschaften), 2006, C-Print, 20 x 30 cm
Wenn ich mal nicht weiter weiß, geh ich zu Ulrike. Ulrike Kolb ist genau im Denken, präzise in der Wortwahl, umkreist immer näher die Motive eine Arbeit zu machen und stellt dann die richtigen Fragen. Lässt nicht locker, bis sich Nebliges und Unausgegorenes geklärt hat. Sie fordert sich Klarheit ein und Genauigkeit – auch gerade bei Arbeiten, die bildnerisch das Unklare, das Mehrdeutige, das Geheimnisvolle formulieren.Ulrike Kolb, o.T. (Landschaften), 2006, C-Print, 20 x 30 cm
Ulrike feilt lange an ihren eigenen Arbeiten, es geht um 2 Punkte Gelb mehr oder weniger, zwei Millimeter größerer oder kleinerer Ausschnitt. Grashalm mit drauf, halb angeschnitten oder ganz weg. Sie zeigt lieber keine Arbeiten als Unausgegorenes zu präsentieren.
Wir kennen uns seit 1994. Gemeinsam haben wir in Leipzig angefangen zu studieren. Sie war später bei Joachim Brohm, ich bei Timm Rautert. Wir haben zusammen gewohnt. Damals im Dreigespann mit Peggy Buth. Leipzig war noch anders: verrottet, zerschossen, unsaniert und billig. Schönheit in Ruinen. Mein Zimmer in Connewitz hat 88 DM gekostet. Nach dem Farblabor nach Mitternacht ins Werk II. Bier und Schnäpse. Getrunken, geraucht, geredet. Nächtelang. Manchmal denke ich, dass wir viel mehr voneinander gelernt haben als von den Professoren.
Ulrike Kolb, o.T. (Museum), 1998/99, C-Print, 38 x 48 cm
Ulrike gibt einer Arbeit lieber keinen Titel als irgendeinen. So war die Arbeit, mit der sie 1999 den Aenne-Biermann-Preis gewonnen hat, bis zur Preisverleihung unbetitelt und ist es bis heute. Lieber nichts als Mist.
Sie hat sich lange an Modellen und Objekten abgearbeitet. Sie fotografierte in verschiedenen, meist naturkundlichen Museen. Die Fotografien zeigen authentische museale Arrangements, die sich hinter dem Glas der Vitrinen einem weiteren inszenierenden Zugriff entziehen. Eine nachgebaute Welt, die an sich schon einen eigenen Raum bildet wird noch weiter verrätselt indem sie entweder das Miniaturhafte auf die Spitze trieb oder indem sie die Grenzen zwischen Nachbildung und Realem verwischte. Aufgenommen mit dem jeweils vorherrschenden Kunstlicht der Museen entstanden im Farblabor (Ulrike ist und bleibt analog!) Bilder mit ganz eigenartig matter, verblasster Farbigkeit. Nie gibt es die Klarheit aller Farben von 0 bis 255, wie wir sie aus der digitalen Welt kennen. Es liegt über den Bildern etwas Gilbliches. Erinnert an die Schildchen in Vitrinen, die Pflanzenexponate der 30iger Jahre bezeichnen. Nie hat seitdem diese Vitrine jemand geöffnet. Wozu auch? Ist doch alles vorhanden.
Ulrike Kolb, o.T. (Museum), 1998/99, C-Print, 38 x 48 cm
Eine rätselhaft verstaubte, künstliche Welt, die zuerst scheinbar die zurückhaltende Melancholie vergessener Dinge ausströmt, dann aber unmerklich zum Bild von etwas anderem wird. Von Fremdkörpern, die meteoritengleich nicht von dieser Welt sind.
Ulrike Kolb, o.T. (Museum), 1998/99, C-Print, 38 x 48 cm
In der Serie „scenic“ sieht man winzige Ausschnitte aus älteren Postkarten und Reiseführern. Im Vordergrund ist die Sehenswürdigkeit, das Hotelzimmer, das Restaurant. Der Empfänger dreht die Karte sofort um, liest die Zeilen der Lieben und ihm entgeht, dass sich im Hintergrund des Banalen eine neue Bühne auftut. Im Meer noch ein Stück Küstenstreifen: ein Regenbogen von Uferlinie: Gelb-Grün-Braun-Rot-Orange-Magenta-Blau steht der Uferwald über verwaschenem Sandstrand. In einer 50er-Jahre-Schrift ragt das Wort Cafeteria über den Büschen hervor. Ist es an der See oder in den Bergen? Unter Ausblendung des scheinbar Wichtigem (denn was ist Fotografie anderes als Auschnitt) spürt Ulrike das Verborgene auf. Im ein mal zwei Zentimeter großen Detail sieht man hinter grobem Raster Merkwürdiges, Schönes oder Abseitiges. Etwas, was nie eingelöst wird. Ein Raum für imaginierte Geschichten, eine eigene Landschaft in der Abbildung der Landschaft.
Ulrike Kolb, o.T. (scenic), C-Print, 17 x 20 cm
Ulrike Kolb, o.T. (scenic), C-Print, 17 x 20 cm
Wenn man mit diesem Blick, der in Nachgebautem oder schon Gedrucktem, also Welt aus zweiter Hand, Arrangements entdeckt, die rätselhaft bleiben, die nicht entschlüsselbar sind, aber ungewollt eine eigene Ordnung in sich tragen in die Eins-zu-eins-Abbildungsfotografie übergeht, entsteht ein überaus interessanter Effekt. Die uns umgebende zwar meistens gebaute und kultivierte, aber in ihrem formalen Zusammenspiel weitgehend zufällige Welt wirkt ähnlich arrangiert wie ein Modell von ihr. Alles scheint einem unergründlichen Plan zu folgen.
Ulrike Kolb, o.T. (Landschaften), 2006, C-Print, 20 x 30 cm
Ulrike nimmt sich die Freiheit und geht seit 2006 mit der Kamera in die Außenwelt, verlässt das Zimmer, in dem sich Postkarten und Reiseprospekte stapeln und kehrt auch dem vor sich hin staubendem Museumsinventar den Rücken. „Beauty Spots“ heißt der ironisierende Titel. Es ist egal, ob sie am Müggelsee, in Italien oder an der südafrikanischen Küste fotografiert: wir werden ohnehin nichts erfahren über das Land und die Leute. Wir werden entführt in eine stille, aus nicht bekannten Gründen plötzlich und unverhofft ins Gleichgewicht gekommene Welt, die wirkt, als würde selbst der Vogelschwarm nur ihr zuliebe nicht weiterfliegen wollen – die fragile, punktgenaue Komposition des Bildes wäre sonst zerstört.
Ulrike Kolb, o.T. (Landschaften), 2010, C-Print, 20 x 30 cm
Ulrike Kolb gibt im Rahmen von BerlinWinterWorkshops zusammen mit Anna Lehmann-Brauns vom 05. bis zum 09. März 2012 den Workshop I see a red door and I want to paint it black – Raum und Interieur in der Fotografie.
Übrigens sind noch bis 17. Dezember in der Loris – Galerie für zeitgenössische Kunst in der Berliner Gartenstraße Bilder von Ulrike Kolb zu sehen. Die mit In Transit / Personal Belongings betitelte Gemeinschaftsausstellung thematisiert die Flucht vor Katastrophen, humanitärer, gesellschaftlicher aber auch persönlicher Art und die Suche nach neuen Strategien des Überlebens.
in transit / personal belongings
Loris
Galerie für zeitgenössische Kunst
Gartenstr. 114
D 10115 Berlin
Ausstellung: 12. November bis 17. Dezember 2011
Öffnungszeiten: Mi – Fr 14:00 – 19:00 Uhr, Sa 12:00 – 17:00
Im Februar gibt es am selben Ort von Ulrike Kolb noch eine Einzelausstellung.Eröffnungsdatum ist der 24.02.2012 Die Ausstellung geht vom 25.02. bis zum 24.03.2011. Ich werde in diesem Blog noch einmal gesondert darauf hinweisen.
Göran Gnaudschun