„There’s got to be more than that!“

2013, Jan 25th

No Land called Home - Buch 2012

Wolfgang Bellwinkels No Land Called Home

Irgendwann hatte U2’s Bloody Sunday noch eine Bedeutung. Die Welt lag vor uns. Auch wenn man dachte, dass irgendwann jemand den Roten Knopf drücken würde, gab es ein nicht gemachtes Versprechen, an das wir glaubten. Irgendwann war es dann nur noch der Glaube an die eigene Überzeugung, die eigene Sache. Lange trug einen das „Ich mach’ das, weil es mir wichtig ist. Weil ich das bin.“ Jetzt guckt da einer auf 18 Jahre eigene Bilderwelt; Suche und ein Versuch, Sinn, Fragen und Erklärungen aus der visuellen Welt und der eigenen Innenwelt zu generieren. Aber wir sollten uns hüten, dies zu beurteilen. Man kann nur darauf reagieren; sich wiederum ein Bild davon machen, mit den eigenen Vorstellungen abgleichen. Das macht viel Arbeit, aber mit diesem Buch auch viel Spaß.

In der Fotobuchflut muss man lange suchen, bis man ein Lohnenswertes findet. Aber dieses, das ich an einem vernieselten Morgen zum ersten Mal durchsehe und lese, ist auf vielfältige Weise interessant. Ein schönes Buch auch; zwischen Wolken- und Seestücken neben lauter Kommunikations- und Vereinsamungsmetaphern. Sehnsüchte prallen auf Verblendungen symbolischer Simularca. Asiatische Jugendlichkeit und europäische Konfliktrealitäten und gleich zu Anfang, kurz nach der ersten auflodernden Hoffnung, ein aufgegebener, schrottreifer Kahn. Wir fliegen hierhin und dorthin. Immer wieder in das Buzz asiatischer Megacities. Zu Mädchen und deren Bildern, dem Versprechen von Zuneigung. Zwischen Betonwüsten, Werbung und kulturell aufgleißenden Farben und Oberflächen fragt man sich: Wer um Himmels Willen hat sich das ausgedacht? Versatzstücke aus heileren Welten neben Sturmgewehren. Alles ist verkabelt: hypertextalische Bilder, verpackte Götzen, zerschossene Träume. Und wenn man sich im hiesigen Alltag wundert, so wundert man sich nach dieser Lektüre umso mehr, dass wir uns die Welt so einrichten, wie Bellwinkel sie uns zeigt. Home liegt definitiv anderswo!

Aber genauso wie die Flucht sich nicht in den Bildern finden lässt, fehlt diesem Buch eine Ahnung für den Grund dafür. Wo ist eigentlich das Land, das Bellwinkel hinter sich lässt? Stattdessen findet sich große persönliche Nähe, emotionales Leben, die kleinen Ängste und Glücksmomente, die Tage ausmachen, in den Textskizzen, die er seinen Bildern mitgibt. Leute die Fotobücher kaufen, lesen ja nicht (sagt man) aber in diesem Falle sollte man es. Und nicht nur die Bilder verdienen ein genaues Lesen. Denn die Diskrepanz zwischen Bildern und Texten macht gerade einen großen Teil der Spannung aus, die dieses Buch – und manchmal eben auch ein Leben – in sich trägt.

Neben aller Weltläufigkeit hat sich ein vormals Bochumer Staunen und Trotz erhalten, auf die Welt zu blicken und zu erkennen, dass das Grau und die Entfremdung und die Sehnsüchte weltumspannend sind. Nur eben manchmal gigantischer, oberflächlicher, multipliziert ins Unermessliche. Allerdings zuweilen sonniger und sinnlicher als in behüteten europäischen Friedens- und Kulturnischen. The Edge sagt im Rückblick auf ein desolates Irland seiner Jugend: „There’s got to be more than that!“

Das verwirrende aber auch anspannend-erfrischende dieses Buches ist der Versuch einer undogmatischen Bildfolge. Erahnt man zwar, dass die Bilder in verschiedenen Projektzusammenhängen entstanden sein mögen, so sind doch Konzeptstrategien der Fotografie aus Düsseldorf, Essen, Bielefeld usw. in Auflösung begriffen. Durch Anordnung und gegenseitige Unterschneidung leistet diese Bildsprache hier noch einmal Neues. Sie wird subjektiver in ihren Interpretationsmöglichkeiten, stellt mehr Fragen und überantwortet dem Betrachter einen großen Teil der Arbeit beim Lesen der Bilder und vor allem der Welten hinter den Bildern. Als Zugabe wünsche ich mir ganz sehnlichst einen Blick auf die Bilder, die sich nicht im Buch finden – trotz der 352 Seiten.

Wolfgang Büscher, im sehenden Spazieren und Wandern dem Fotografen nicht ganz unverwandt, hat das Nachwort geschrieben. Und das mit der „langen Leine“ ist genial; da hat er wirklich Recht! Denn im Gegensatz zu Bellwinkels alter egos in seinem Portraitfilm „weg“ über Expats in Bangkok kommt er ja immer wieder zurück. (siehe auch: Photonews Nr. 2/13, Februar 2013)

Wolfgang Bellwinkel
No Land Called Home – Photographs and Stories of a Long Journey – 1994–2012
Mit Texten von Wolfgang Bellwinkel und einem Nachwort von Wolfgang Büscher
352 Seiten, farbig
Kehrer 2012, ISBN 978-3-86828-376-1

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