Das Auto und der Torso Appollons

2013, Mrz 27th

RR_Garage_12Ricarda Roggan, Garage 1, 2008
C-Print, 150×191 cm, Auflage 3, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

„Es sind immer nur die letzten Aggregatzustände des zeitlichen, die von den Oberflächen preisgegeben werden.“ So schreibt der Künstler und Philosoph Falk Haberkorn 2003 in dem Vorwort zu Stuhl, Tisch und Bett, dem ersten Einzelkatalog von Ricarda Roggan.

Die Dinge, das Arrangement, die Spuren und deren Verwischung durch Abbildung – so könnte man ihre fotografischen Arbeiten umschreiben. Die Zeit, die an den Dingen klebt, und die nicht mehr vergehen kann, aufgehoben in einer Gegenwart des Abgebildeten, die sich der unsrigen immer weiter entfernt, zugleich aber als Bild mit uns weiter bewegt.

Der Autounfall. Längst vergangen. Die Trauer ist verschorft und das Relikt, das Fahrzeug, hat sich eine dicke Staubschicht zugelegt. Dem Dunkel der Möglichkeiten entzogen, wird das Echte, der Beweis im hartem Oberlicht der Kamera präsentiert.

Die Einrichtung eines Betriebspausenraumes des untergegangenen zweiten deutschen Staates. Aus ihrer Umgebung geholt und in einem nicht ganz weißen Raum in ähnlicher Weise arrangiert.

rroggan_3tischebraunebeineiiiRicarda Roggan, Drei Tische mit braunen Beinen I, 2003
C – Print, 100 x 130 cm, Auflage: 5, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Waldstücke, Nadel-, Misch- und Laubbbäume aus der Sicht der Baumkronen, die nur aus der rätselhaften Perspektive des Gegenübers eines Tales offenbaren. So dicht, so chaotisch, wie es nur Wildgewachsenes gibt, in die Ordnung von hell und dunkel, von grün und weniger grün, von genau arrangierter Bildaufteilung sortiert.

Jeder Zufall ist nur scheinbar. Die Spielautomaten wurden lange nicht benutzt. So wie sie aussehen, verstaubt und verkokelt, ist es ohnehin nicht mehr möglich, sie in Gang zu setzen. Übrig bleiben die schleimigen Farben aus ehemaliger Sättigung, das Versprechen rasanten Zeitvertreibs ist dem Stillstand der Relikte gewichen. Die synthetischen Klänge  der Maschinen in dunklen, höhlenartigen Räumen noch im Ohr, scheint man jetzt Stille, höchstens ein weißes Rauschen zu wahrzunehmen, das von dem weichen, fast matten Licht herrührt, das die Geräte umhüllt.

rroggan_baumstueck_1Ricarda Roggan, Baumstück 1, 2007/2008
C-Print, 120 x 150 cm, Auflage: 3, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

 

rroggan_reset7Ricarda Roggan, RESET 7, 2011
C-Print,120 x 150 cm,  Auflage: 3, Courtesy Galerie EIGEN + ART Leipzig/Berlin

Ricarda Roggan stellt die Dinge frei, lässt sie atmen, lässt sie von sich erzählen.
Aber die Dinge bleiben Dinge und was sie uns mitteilen, kommt aus dem Kopf des Betrachters.

Das Fehlen eines des Bezugs (zeitlich, räumlich und inhaltlich) evoziert im Betrachter eine Leere, die ihn in eine hilflose Lage versetzt. Gehören doch die Dinge, die den Betrachter in der Jetztzeit umgeben, die er schätzt, benutzt und abnutzt, ebenso bald der nächst unter uns befindlichen geologischen Schicht an. Die Dinge, das Leben, von dem die Dinge erzählen, werden Geschichte sein und keiner blickt mehr zurück. Ob man sein Leben ändert, wovon Rilke erzählt, ist dem Weltlauf herzlich egal, weil alles gleichermaßen von Staub überdeckt wird.

Kein Ding kann sprechen, auch nicht zurücksehen – nicht mal der Torso Appollons. Wenn die Zeit um ist, werden die Dinge weggeworfen oder musealisiert. Weil die wenigen dann die vielen überlebt haben, bekommen sie als Dankeschön eine Aura geschenkt. Die Aura des Vergangenen, des gelebten Lebens, der Berührung durch Menschen, die nicht mehr sind.

Oder: die Dinge werden erst fotografiert und dann weggeworfen, die Aura bekommt dann das Bild davon.

 Göran Gnaudschun

Ricarda Roggan gibt unter dem Titel Creatures of the 20th Century am 20. und 21. Juni ein Seminar bei BerlinPhotoWorkshops. Ihre Arbeiten in Form von Büchern kann man sich als PDF auf der Seite der Galerie EIGEN+ART ansehen.

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